Unter Piloten ist sie beliebt, ihre Optik ist… nennen wir es mal… anders und ihre Entwicklung ist eine besondere Geschichte. Boeings 757 ist vielleicht nur auf den zweiten Blick außergewöhnlich, ihre Eigenschaften sind aber unfraglich speziell.

In jeder Live Show werde ich gefragt, was denn mein Lieblingsflugzeug sei. Die Antwort lautet immer Cirrus SR22-T. Auf diesem GA Muster habe ich rund ein Dutzend Stunden Erfahrung und kann meine Meinung fachlich stützen. Das ist aber natürlich nicht das, was meine Zuschauer und Hörer hören wollen, die Frage bezieht sich natürlich, bedingt durch das was wir machen auf die kommerzielle Luftfahrt. Also habe ich mir mal ein paar Gedanken gemacht, was denn eigentlich mein Lieblingsjet ist und ich komme zu einer überraschenden Antwort: Die Boeing 757!
Hässlich! Das ist die Meinung die man am meisten über die 757 hört. Sie ist unförmig, steht am Boden auf Stelzen, hat eine umproportionale Nase und je nach Version ist sie auch noch viel zu lang. Ich fand das Projekt noch nie „hässlich“ höchstens anders. Für die Optik der 757 gibt es dabei gute Gründe, die es wert sind heute den Blog mal ihr zu widmen.
Aber der Reihe nach. Ende der 70er Jahre stand man bei Boeing vor einem Problem. Mehr als zweistrahlige Jets wurden unbeliebt. Konfigurationen mit drei und mehr Triebwerken nur noch auf der Ultra Langstrecke gewünscht. Für die Langstrecke hatte man gerade mit der Entwicklung der Boeing 767, als Ersatz für die in die jähre gekommene 707, begonnen – dem ersten Boeing Langstreckenprodukt mit 2 Triebwerken. Auf der Mittelstrecke kam die 727 so langsam in die Jahre, erste Ideen, diese signifikant zu verlängern wurden schnell verworfen – wahrscheinlich als jemandem aufgefallen ist, dass auch nach der Verlängerung das dritte Triebwerk noch da ist. Ein neuer Typ musste her.
Als man den zweistrahligen Nachfolger in Projektphase bei den Airlines vorstellte, stieß man auf großes Interesse. Erstbestellungen kamen von Eastern und British Airways und so nahm das Projekt 1979 Fahrt auf. Als Angebotserweiterung nach unten unter der fast fertigen 767 bot sich eine einmalige Gelegenheit – Man konnte das neue Flugzeug mit dem Projektnamen 7N7 so entwickeln, dass ein gemeinsames Type Rating mit der 767 möglich ist. Das war für die Airlines ein Argument, da analoge Type Ratings die Ausbildungskosten extrem senken. Für Boeing wiederum bedeutete es eine feste Bindung an ihre Kunden.
Und da kommen wir auch tatsächlich schon zu dem etwas eigenwilligen Design der 757 und dessen Gründe.

Einen großen Double Aisle Langstreckenjet und einen schmalen Single Aisle Mittelstreckenjet so zu gestalten, dass die Type Ratings identisch sind ist nicht ganz einfach. Ich werde jetzt hier nicht auf alle Kriterien eingehen, aber es sollte offensichtlich sein, dass das Flugverhalten ähnlich sein muss. Eine weitere Anforderung liegt im Cockpit. Der Blick auf die Bahn am Boden muss identisch sein, auch das Cockpit selbst muss weitestgehend identisch sein. – Das ist übrigens einer der konstruktiven Gründe der Triebwerkspositionen an der Boeing 737 MAX, die ja dann über den Umweg MCAS zu den beiden Abstürzen geführt haben – aber das ist eine andere Geschichte für einen anderen Tag.
Die 767 hat einen deutlich größeren Rumpfquerschnitt als die 757 und ist damit, am Boden stehend erstmal deutlich höher, bzw sollte es sein. Um der 757 jetzt die identische Cockpitsicht zu ermöglichen, ist man also hingegangen und hat erstmal die verhältnismäßig grüße Cockpitscheibe der 767 1:1 übernommen. Die Dinger sind das exakt gleiche Bauteil und erklären auch die etwas umproportionale Frontansicht der 757.

So weit so gut. Aber jetzt muss man ja immer noch hoch mit dem Bus! Ihr ahnt es bereits: Daher kommt das überproportional hohe und auffällig weit hinten stehende Fahrwerk der 757. Die Position des Bugfahrwerks in Relation zu den Pilotensitzen entspricht genau der 767. In meinen – zugegeben etwas einfachen – Grafiken habe ich euch das nochmal veranschaulicht.

Das Design der 757 ist also ein Paradebeispiel für ein Design, das einen bestimmten Zweck erfüllt. Dass das ganze auch noch aerodynamisch funktioniert liegt dabei zum Glück in der Natur der Sache.
Mit dem aus der Automobilindustrie bekannten Modulbaukasten hat das übriges nichts zu tun. Die identischen Teile der 767 und 757 sind minimal und hören außen auch bei der Cockpitscheibe schon wieder auf. ich wage mal zu unterstellen, dass der Aufwand, die 75 am die 76 anzugleichen sogar größer war, als auf den vorhandenen Erfahrungswerden einen eigenständigen 200 Passagier Single Aisle Jet zu konstruieren. Trotzdem war die 757 für Boeing ein Erfolg. Viele Betreiber nutzen beide Modelle. 1050 757 wurden von 1981 bis 2004 gebaut. Darunter auch 6 militärische C32A, besser bekannt unter dem Namen „Air Force Two“ – Die Flugzeuge stehen der US Regierung zur Verfügung und werden unter anderem vom Vize Präsidenten verwendet.
Übrigens stellt das die Air Force vor ein Problem. Genau wie die Air Force One kommen auch die Air Force Two Maschinen so langsam in die Jahre. Sie zu ersetzen dürfte eine große Herausforderung geben, da es bis heute kein Produkt mit vergleichbaren Eigenschaften am Markt gibt.
Die 757 ist bei Piloten sehr beliebt. Sie liefert bis zu zwei mal 193kn Schub bieten die beiden Rolls Royce RB211 Triebwerke. Die Alternative PW2000 ist mit maximal 189kn Schub auch nicht gerade schwachbrüstig. Vergleichen wir das mal mit aktuellen Flugzeugen der 200 Passagier Klasse. Bei der 737 MAX 200 („Ryanair Modell“ mit 200 PAX auf Basis der MAX-8 mit 198 PAX) liefern die LEAP 1B Triebwerke je 125kn Schub, beim Airbus A321NEO mit 206 Plätzen kommen die LEAP 1A auf 143kn Schub – jeweils maximal!
Klar, die 757 ist auch ein bisschen schwerer als die beiden aktuellen Damen. Im Internen Boeing vergleich sogar 40%. Aber sie hat halt 54% mehr Schub und damit unerreichte Leistungsreserven. Piloten mögen das, verständlicher Weise. Sie gilt als der Sportwagen unter den Passagierflugzeugen.
Die Zeit der Schmalrumpfrakete geht trotzdem zu Ende. Auch wenn sie von einigen US Airlines sogar auf der Langstrecke eingesetzt wird, kann sie sich wirtschaftlich nicht mehr gegen die Konkurrenz durchsetzen, die Effizienz der LEAP befeuerten Mittelstreckenalternativen ist einfach auf einem ganz anderen Levels.
Ich persönlich freue mich immer eine 757 zu sehen oder in eine einzusteigen. Gerade vor dem Hintergrund der Gründe finde ich ihr Aussehen noch interessanter.
Und daher denke ich, dass ich die Frage nach meinem Lieblingsflugzeug zukünftig guten Gewissens mit „757“ beantworten kann.
Euer Sebastian
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